Heute wollen wir euch einmal ein Thema näherbringen, das zwar im erweiterten Sinne auch mit unserem Metier zu tun hat, jedoch über die Streetwear- und Sneakerkultur, über die wir normalerweise berichten, hinausgeht. Der entscheidende Akzent liegt hier auf dem Wort Kultur, denn wir stellen euch in diesem Beitrag das Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V. vor, das seit 1997 die wahrscheinlich größte Sammlung Deutschlands zu Jugend-, Pop- Sub- und Clubkultur aufgebaut hat. Dabei verfolgt es den Anspruch, eine von Werturteilen freie, dennoch kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit Jugendkulturen und Szenen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck steht allen interessierten Personen eine kostenlos nutzbare Bibliothek offen, die zwar keine Ausleihe ermöglicht, aber Arbeitsplätze mit WLAN-Zugang zur Verfügung stellt, die man zur Recherche vor Ort nutzen darf. Auch eine Kopiermöglichkeit ist vorhanden.

Neben der angesprochenen Präsenzbibliothek mit rund 9.000 Titeln besitzt das Archiv eine Sammlung mit rund 55.000 Zeitschriften und Fanzines. Insbesondere die Fanzinesammlung mit rund 20.000 Einzelheften aus mehr als 50 verschiedenen Ländern ist einzigartig, da solche selbstgemachten Szenepublikationen von kaum einer anderen Bibliothek oder einem anderen Archiv in dieser Menge gesammelt werden – z.B. gibt’s hier Punkfanzines aus Malaysia oder Indonesien genauso wie Metalfanzines aus Peru oder Botswana. Aber auch der Mainstream hat hier seinen Platz – etwa in Form einer riesigen Sammlung an kommerziellen Jugendzeitschriften wie der BRAVO mit Heften ab den 1950er Jahren. Hinzu kommen unzählige Flyer, Sticker und Plakate, große Bestände an Tonträgern und AV-Medien, Fotos und Textilien, Nachlässe und Spezialsammlungen.

Dazu gehören auch besondere Objekte aus z.B. der Graffitiszene wie besprühte Leinwände und Blackbooks von Berliner Sprayer*innen, dreidimensionale Graffitis aus Gips von 1UP oder auch eine Art Schaukel, welche ein selbstgebautes Werkzeug der Pixação-Künstler*innen ist, mit dem sich diese von den Dächern der Hochhäuser Sao Paolos abseilten, um sie von oben bis unten zu bemalen. Interessant ist, dass die berüchtigte Berliner Graffiti Crew Berlin Kidz diese Technik kopiert haben, um die tristen Häuserwände Berlins großflächig mit Graffitis zu verschönern. Auch aus der Technoszene sind besondere Objekte zu finden, z.B. original Clubartwork aus frühen 1990er-Jahre-Clubs wie dem Planet oder dem E-Werk. Im Archiv findet man Literatur und authentische Zeugnisse zu all dem, was in unserer Jugend eine Rolle gespielt hat, auch wenn wir damals noch nicht wussten, dass es Kultur ist. Ob Skateboarding, Popmusik, Science Fiction, Fußball, Comic, Skinheads, Punk, Rap, Graf?ti, Techno, Heavy Metal oder Gothic – egal welcher Szene man angehörte oder vielleicht auch immer noch Teil ist – man kann an diesem Ort in die Vergangenheit abtauchen und wird fündig.

Ein weiteres  Tätigkeitsfeld des Vereins ist die politische und kulturelle Bildung, in dessen Rahmen  Workshops mit Szeneangehörigen für Jugendliche zu Musik, Kunst, Tanz oder Mode umgesetzt werden. Außerdem koordiniert der Verein jedes Jahr den aktuell stattfindenden Queer History Month, in dem verschiedene Berliner Kultur- und Jugendeinrichtungen Workshops, Stadtführungen und anderes zu queerer Geschichte anbieten (https://queerhistory.de/).

Als eingetragener Verein übt das Archiv der Jugendkulturen vor allem einen ideellen Zweck aus, was bedeutet, dass er keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt oder einen Gewinn erwirtschaften muss. Dennoch ist der Verein auf Geld angewiesen, um seine Arbeit bestmöglich fortsetzen zu können. So müssen zum Beispiel die Räumlichkeiten, in denen sich das Archiv befindet, bezahlt werden. Die Arbeit des Vereins wird hauptsächlich durch Projektmittel, Spenden und die Beiträge seiner Mitglieder finanziert, doch reicht dies oft vorne und hinten nicht, um wirklich alle Vorhaben so umsetzen zu können, wie es nötig oder möglich wäre. Außerdem steht der Verein vor der Herausforderung, ab 2022 eine deutlich höhere Miete bezahlen zu müssen – falls dies nicht gelingt, ist die Existenz dieser besonderen Einrichtung akut bedroht. Bester Beleg für die qualitativ hochwertige Arbeit des Archivs der Jugendkulturen sind die zahlreichen Auszeichnungen, die der Verein bisher erhalten hat. So bekam man 2003 den Preis des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, 2007 den Preis des Jugendforums im Berliner Abgeordnetenhaus, 2009 wurde man ausgewählter Ort im Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“, 2010 bekam der Verein den Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft und 2013 den Dieter-Baacke-Preis der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. Qualität hat seinen Preis und damit diese Qualität vom Archiv für Jugendkultur e.V. gehalten werden kann und die einzigartige Sammlung weiterhin zugänglich und nutzbar bleibt, bittet der Verein um eure Unterstützung. Zum einen ist es natürlich möglich, selber Mitglied zu werden und mit den regelmäßig anfallenden Mitgliedsbeiträgen einen Beitrag zu leisten. Zum anderen kann man sich aber auch bei der aktuell laufenden Spendenaktion auf betterplace.org beteiligen. Unter https://www.betterplace.org/de/projects/4563-unterstuetze-das-archiv-der-jugendkulturen kann jeder einen kleinen oder großen Betrag spenden und somit das Archiv der Jugendkulturen unterstützen. Wir würden uns freuen und es ausdrücklich begrüßen, wenn der eine oder die andere diesen Artikel zum Anlass nimmt und auf der Homepage des Archivs vorbeischaut um sich selber zu überzeugen, dass eine Spende sich lohnt. Oder ihr besucht das Archiv einfach mal, falls ihr mal in der Nähe vom Platz der Luftbrücke seid (vorausgesetzt, dass die aktuellen Corona-Beschränkungen wieder aufgehoben sind, denn aktuell hat das Archiv leider noch für den Publikumsverkehr geschlossen).